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Die Ökonomie der Kartengestaltung

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Tut mir leid wegen des möglicherweise irreführenden Titels – viele vermuten sicher es geht um den Verkauf von Design, worüber ich hier schreiben möchte ist jedoch eher die andere Seite, den Erwerb und die Beauftragung von Design.

Die Idee hierüber zu schreiben kam mir bei der Betrachtung der kürzlich vorgestellten Wikimedia–Karte, insbesondere deren Gestaltung bei niedrigen Zoomstufen:

welche ein schönes Beispiel dafür ist, wie Kartengestaltung deneben gehen kann und die auch als Beispiel dafür dienen kann, warum dies heutzutage bei Karten passiert.

Ich sollte vermutlich voranschicken, dass ich an der Entwicklung dieser Karte nicht beteiligt war und auch kein spezielles Interesse an diesem Projekt habe. Die Karte dient hier lediglich als Beispiel für Qualitätsprobleme in der Kartengestaltung und stellt keineswegs ein herausragendes Beispiel schlechter Qualität dar. Vergleichbares findet sich auch in anderen Karten.

Was das Beispiel oben zeigt ist im Grunde einfach eine schlecht gestaltete Karte. Dies ist nicht auf diesen eine Maßstab beschränkt. Man kann die hier sichtbaren Probleme auch noch sehen, wenn man mehrere Stufen hineinzoomt, sie sind jedoch am deutlichsten bei dieser Stufe zu erkennen. Eine der elementarsten Regeln der Kartengestaltung ist, dem Betrachter einen korrekten und konsistenten Eindruck der Realität zu vermitteln. Wohl bemerkt nicht unbedingt ein realistisches Bild. Eine Karte ist kein Foto, sondern eine abstrakte Darstellung – diese Darstellung soll jedoch immer noch die Realität wiedergeben. Das bedeutet, dass wenn man von einer realitätsnahen Wiedergabe abweicht, man dies absichtlich und bewusst machen sollte und immer mit dem Ziel, einen irreführenden Eindruck beim Betrachter zu vermeiden.

Wenn eine Karte in der Gestaltung nicht mehr versucht, die Realität korrekt und konsistent abzubilden, verliert sie im Grunde ihre Existenzberechtigung und wird zu einem abstrakten Kunstwerk – sofern sie als solches durchgeht – oder aber schlicht zu einem Haufen digitalen Mülls.

Natürlich ist die Gestaltung einer Karte bei dem gezeigten Maßstab nicht einfach – es gibt nur sehr wenig Raum, um die Komplexität der realen Welt wiederzugeben, jedoch sollte es offensichtlich sein, dass man dies besser machen kann, als indem man die Ostsee als mehrere getrennte Seen darstellt oder Japan als Halbinsel. Der Standardstil von OSM liefert hier – wenngleich sicherlich kein optimales Ergebnis – sicher bessere Arbeit.

Wie die meisten Leser vermutlich wissen, kenn ich mich mit diesem speziellen Gestaltungsproblem recht gut aus, d.h. mit der Schwierigkeit, Küstenlinien und Gewässer bei groben Maßstäben konsistent darzustellen. Ich schreib dies hier jedoch nicht um meine Arbeit in diesem Bereich hervorzuheben. Jeder Ansatz hierzu ist mit einer Vielzahl von subjektiven Entscheidungen des Gestalters behaftet und jeder ist frei, hier einen anderen Ansatz zu wählen und andere Prioritäten zu setzen. Essentiell ist dabei jedoch, tatsächlich eine bewusste Entscheidung zu fällen und nicht nur das zufällige Ergebnis einer willkürlichen Kombination verschiedener Algorithmen darzustellen.

So weit zum Problem aus der Perspektive der Kartengestaltung. Mein Thema heute ist jedoch, was die tiefere Ursache dafür ist, dass so etwas so deutlich in Karten für ein breites Publikum passiert.

Obwohl Wikimedia kein Unternehmen ist, ähnelt die Arbeitsweise bei der Planung und Durchführung eines Karten-Entwicklungsprojektes durchaus der einer kommerziellen Firma. Die Entscheidung wird gefällt, eine solche Karte zu entwickeln und Leute in der Organisation, hoffentlich welche mit entsprechenden Kenntnissen, werden beauftragt, eine Spezifikation mit den Anforderungen an diese Karte zu entwickeln.

An dieser Stelle beginnt üblicherweise das Problem, denn es ist inhärent schwierig, Design-Aspekte in einer Projekt-Spezifikation festzuschreiben. Es gibt hierzu im Grunde zwei Ansätze:

  • Die Spezifikation über Beispiele – man sagt, dass das Ergebnis in gewissen Aspekten einer existierenden Karte ähneln soll. Diese Methode führt zu zwei Problemen: (a) sie funktioniert nur bei relativ einfachen Produkten, die dem Stand des Üblichen entsprechen und nicht bei neuen, innovativen oder ungewöhnlichen Gestaltungen und (b) in vielen Fällen ist dies – entweder aufgrund interner Regeln oder per Gesetz bei öffentlichen Institutionen oder wenn Steuergelder betroffen sind – nicht zulässig, denn eine Spezifikation auf Grundlage eines existierenden Produktes ist nicht neutral genug.
  • Die Spezifikation über die verwendeten Technologien – anstatt die Gestaltung selbst zu spezifizieren benennt man die Techniken, die verwendet werden sollen um die Karte zu gestalten. Das ist im Grund etwa so wie wenn man beim Auftrag für ein gemaltes Portrait angibt, dass dieses mit Aquarell-Technik gemalt werden soll.

Aufgrund der Einschränkungen beim ersten Ansatz ist der zweite Weg der bei der Spezifikation von Kartengestaltungen am häufigsten verwendete. Es ist vermutlich klar, dass dies praktisch kaum dazu führt, ein bestimmtes Niveau an gestalterischer Qualität sicher zu stellen. Solche Spezifikationen können sogar kontraproduktiv sein. Im Beispiel der Wikimedia–Karte führt die sicherlich vorhandene Anforderung an die Verwendung von Vektorkachel-Techniken zu der Notwendigkeit, das Datenvolumen bei den niedrigen Zoomstufen massiv zu reduzieren, was sich negativ auf das Darstellungs-Ergebnis auswirkt. Ohne die Spezifikationen für diese Karte tatsächlich zu kennen lässt sich ohne Zweifel annehmen, dass diese hier keinerlei Anforderung an die Konsistenz in der Darstellung von Wasserflächen enthält.

Allgemeiner betrachtet ist das Problem hier, dass Karten üblicherweise erstellt werden, um einen bestimmten wirtschaftlichen Zweck zu erfüllen. Die Karten tun dies durch ihre Gestaltung und die Gestaltung wird durch Technologie ermöglicht. Dieser Zusammenhang ist nicht spezifisch für die Kartengestaltung, sondern gilt genauso für andere Bereiche des Designs. Bei der Gestaltung moderner digitaler Karten kommt der Technologie jedoch eine deutlich größere Bedeutung zu, wenn es um die Frage geht, was gestalterisch möglich ist und was sich effizient umsetzen lässt als in anderen, konservativeren Bereichen des Designs.

Das Problem dabei ist, dass dieser Mechanismus oft nicht respektiert wird, wenn Entscheidungen gefällt werden – es wird vielfach ignoriert, dass das Design die zentrale Verbindung ist, über welche bei Karten mit Hilfe der Technologie wirtschaftliche Ziele erreicht werden können. Stattdessen wird oft angenommen, dass die Implementierung von Technologien irgendwie magisch die Erfüllung der wirtschaftlichen Ziele von Karten bewirkt. Traditionell sagt man ja, dass was hinsichtlich Design möglich ist durch die technologischen Möglichkeiten begrenzt wird. Bei Kartendarstellungen habe ich jedoch im Moment den starken Eindruck, dass die praktische Verwendung verfügbarer Technologien oft vor allem durch die sehr begrenzten finanziellen Mittel eingeschränkt wird, welche für die Gestaltung im Einzelfall zur Verfügung stehen, denn das Budget von Kartenentwicklungs-Projekten endet oft im Grunde mit der Technologieentwicklung.

Um dieses Problem anzugehen hilft es vermutlich, mal zu schauen, wie andere Gebiete des Designs damit umgehen. Bei Projekten in anderen Feldern wie Architektur und Industrie-Design spielen Entwürfe meist eine viel größere Rolle als bei der Kartengestaltung. Entwürfe gibt es dort auf ganz verschiedenen Stufen – von einer einfachen Konzeptskizze bis zu einem detailliert ausgearbeiteten Planungsentwurf. Es ist in diesen Bereichen sehr verbreitet, Entscheidungen zur Gestaltung auf Basis unabhängig entwickelter konkurrierender Entwürfe verschiedener Designer zu treffen. Hierdurch wird sicher gestellt, dass eine große Bandbreite von Möglichkeiten in Erwägung gezogen wird und dass auch neue, innovativen Ideen eine Chance erhalten.

Ich habe noch nie gesehen, dass so ein Ansatz bei einem kommerziellen Kartenentwicklungs-Projekt angewandt wird. Es ist natürlich durchaus üblich, in der Entwicklung verschiedene Gestaltungsideen auszuprobieren. Mehrere komplett unabhängige Entwürfe zu machen ist jedoch extrem ungewöhnlich. Man kann natürlich argumentieren, dass in Architektur und Industrie-Design die Gesamt-Budgets oft mehrere Größenordnungen höher liegen und es deshalb eher möglich ist, mehrere Entwürfe zu finanzieren, die dann am Ende nicht verwendet werden. Da ist sicher was dran, allerdings haben die Leute auch in diesen Bereichen selten Geld, was sie zum Fenster rauswerfen können, sondern stecken das Geld auch nur in Dinge, von denen sie glauben, dass sie am Ende im Schnitt eine gute Investition darstellen.

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