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Über das Vermessen der Vermesser

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Der Vorstand der OpenStreetMap Foundation hat eine Zusammenfassung der Ergebnisse der Umfrage vorgestellt, die im Vorlauf zum Vorstands-Treffen im Mai durchgeführt wurde. Diese Zusammenfassung enthält eine Reihe interessanter Einblicke, jedoch auch ein paar fragwürdige Ideen und Tendenzen. Hier habe ich ein paar meiner Gedanken zu dem Thema Umfragen zu Meinungen in der OSM-Community und zum größerem Thema Kommunikation und soziale Dynamiken im Projekt gesammelt.

Als Hintergrund – dies steht in Bezug zu einer Reihe von früheren Blog-Beiträgen hier, hier, hier, hier und hier sowie einigen Kommentaren von mir zur Umfrage und zu verwandten Themen.

Die Vielfalt von OpenStreetMap

Eine ganze Menge Leute betrachten OpenStreetMap als eines einer Vielzahl von Internet-Projekten, welche auf der Arbeit Freiwilliger an irgendeiner Sache basieren – mit dem Hauptunterschied zu den tausenden anderer Projekte dieser Art, dass OSM mittlerweile deutlich größer ist, als die meisten davon. Das ist jedoch ein großes Missverständnis.

Wodurch sich OpenStreetMap von anderen Internet-Communities unterscheidet ist nicht die Größe, sondern die Vielfalt. Und mit Vielfalt meine ich nicht die Vielfalt an persönlichen Lebensstilen und an Ausdrucksformen der Beteiligten, sondern fundamentale kulturelle Vielfalt. Wenngleich die Arbeit in OpenStreetMap klar durch Leute aus Westeuropa und Nordamerika dominiert wird was die Zahlen von Beteiligten angeht, gibt es starke lokale OSM-Communities, insbesondere in Russland, Lateinamerika und Japan, welche sich nicht einfach an die kulturellen Werte der Europäer und Nordamerikaner anpassen und sich in deren Strukturen integrieren, sondern welche lokal ihren eigenen, unabhängigen Stil der Datenerfassung definieren und gestalten, der am Ende aber trotzdem nahtlos in das globale Projekt integriert ist.

Dies ist, wodurch sich OpenStreetMap fundamental von anderen Internet-Communities unterscheidet. Und das bemerkenswerte daran ist, dass sich dies so entwickelt hat, ohne dass es von einer zentralen Autorität geplant und umgesetzt wurde. Die Idee, die eigene Kenntnis der lokalen Geographie seiner eigenen Umgebung aufzuzeichnen und mit anderen über eine offene Datenbank zu teilen ist schlicht und einfach etwas, was in vielen Kulturen auf der Welt auf starke Resonanz stößt.

Es ist sehr wichtig, dies im Hinterkopf zu behalten, wenn man über Kommunikation und soziale Mechanismen in der OSM-Community nachdenkt. Man sollte nicht den Fehler machen, Ideen dafür aus anderen Projekten, wie man Dinge handhaben kann, einfach so ohne kritische Reflexion auf OpenStreetMap zu übertragen und zu versuchen OSM nach deren Vorbild umzugestalten, denn in den meisten Fällen würde das schief gehen.

Die Umfrage

Aufgrund der kulturellen Vielfalt der OSM-Community ist die Erhebung von Meinungen und Vorstellungen der OSM-Community in repräsentativer Form praktisch unmöglich. Die vom OSMF-Vorstand durchgeführte Umfrage hatte auch nicht diesen Anspruch, aber obwohl dies bei der Interpretation der Ergebnisse anerkannt wird, lassen die Ausführungen dort gewisse hochproblematische Ideen erkennen, wie Umfragen als politisches Instrument gebraucht werden könnten.

Dadurch, dass die Umfrage nicht repräsentativ ist und keine quantitativen Ergebnisse liefert, ergeben sich zwangsläufig Widersprüche in den Antworten. In diesem Fall scheint es zum Beispiel Antworten gegeben zu haben, die sich einfachere Datenimporte in OSM wünschen genau wie Wünsche nach stärkerer Regulierung von Importen. Ohne zusätzliche Informationen ließen sich solche Antworten dann natürlich im Prinzip zur Rechtfertigung beliebiger politischer Initiativen bezüglich Importen in OSM verwenden.

Der beste Weg, solche Arten von Umfrage-Ergebnissen zu betrachten (zumindest in der zusammengefassten, aggregierten Form wie sie hier präsentiert wurde), ist sie als das Ergebnis einer sehr selektiven Ideensammlung zu betrachten von Themen, die von Interesse sein könnten. Falls dass dem Vorstand hilft, Themen zu erkennen, die ihnen vorher nicht bewusst waren, ist dies sehr nützlich. Sich aufgrund der Ergebnisse jedoch auf den Rücken zu klopfen, weil man sieht, dass die Dinge, die man selbst für wichtig erachtet auch von zumindest einigen weiteren Leuten als wichtig angesehen werden, ist keine gute Idee. Dafür braucht man nämlich keine Umfrage.

Für mich zeigen die Umfrage-Ergebnisse so wie präsentiert eigentlich nichts überraschendens. Sie bestätigen in etwa das Bild, dass ich schon zuvor von den Prioritäten der kommunikativ aktiven Teile der Englisch sprechenden internationalen OSM-Community hatte (und mit Englisch sprechend meine ich hier auch Leute, die Englisch regelmäßig als Fremdsprache sprechen). Das einzige Thema, welches ein bisschen zu fehlen schien, war das Thema organisiertes Editieren (welches man natürlich als Teil des Themenkomplexes Kommerzielle Einflüsse sehen kann). Dies mag eventuell jedoch auch daran liegen, dass die Umfrage explizit nach den wichtigsten Themen fragte und entsprechend priorisiert wurde.

Umfragen als Substitut für den offenen Diskurs

Der problematischere Aspekt in Bezug auf den Bericht des Vorstandes über die Umfrage liegt jedoch in der Idee, Umfragen unter der Community zu einem regulären Teil der Kommunikation des OSMF-Vorstandes mit der OSM-Community zu machen. Ich zitiere hier den Anfang des dritten Absatzes – welche recht schwierig zu lesen ist, weil recht verschwurbelt, dennoch lege ich allen nahe, den aufmerksam zu lesen, denn er ist am Ende insgesamt recht explizit darin, eine bestimmte Vision zu entwerfen, wie Kommunikation zwischen der OSM-Community und dem Vorstand ablaufen soll:

OpenStreetMap is made up of everyone who takes part in it, and hearing each other’s voices in a coordinated way, on a regular basis, will help prioritize where work is needed and what actions to pursue. It ensures a standard way to engage. Surveying can help set up mechanisms to route issues to the right place, share pathways for OpenStreetMap members to contribute and address problems, and identify where the project as a whole needs more help to come up with answers.

Diese Formulierung könnte auch Wort für Wort aus einem Unternehmens-Handbuch zu Kommunikation und Personal-Management stammen – wo Umfragen auch extrem populär sind, denn sie unterstützen die institutionellen Hierarchien, bei denen eine direkte Kommunikation zwischen dem oberen Management und den Kunden bzw. den einzelnen Mitarbeitern üblicherweise nicht erwünscht ist.

Was der OSMF-Vorstand mit dem zitierten Absatz zu sagen scheint (obwohl ich mir nicht ganz im Klaren darüber bin, ob sich alle Vorstandsmitglieder diesem insgesamt bewusst sind – es ist wie gesagt eine recht verschwurbelte Sprache), und was im Vorstands-Treffen vom 19. Juni auch noch mal von einem Vorstandsmitglied in ähnlicher Form wiederholt wurde, ist die Absicht, ein ähnliches Prinzip in der OSM-Community zu etablieren, wo die Eingaben einzelner Community-Mitglieder an das Management primär in “koordinierter Form” stattfinden sollen und nicht in einem offenen Diskurs.

Was man dabei natürlich im Hinterkopf behalten sollte (und was auch in der Unternehmens-Welt oft übersehen wird und was dann gelegentlich zu drastischen Formen von Management-Versagen führt) ist dass Umfragen immer nur Wünsche und Präferenzen transportieren, jedoch aus Prinzip niemals Argumente und Abwägungen kommunizieren können. Wenn man Kommunikation auf Umfragen reduziert, schneidet man sich von Argumenten und Überlegungen der anderen Seite ab und nimmt sich selbst die Möglichkeit, die den Wünschen der Leute zugrunde liegenden Motive und Überlegungen zu verstehen. Menschen auf ihre oberflächlichen Wünsche zu reduzieren ist daneben natürlich auch recht herablassend.

Die Rolle des OSMF-Vorstands

Die Motivation für diese Art von Herangehensweise ist recht klar. Mit dem Wachstum der OSM-Community wird es zunehmend schwieriger, in der Kakophonie unterschiedlichster Meinungen, die artikuliert werden, die Dinge zu identifizieren, an denen wirklich gearbeitet werden muss. Meiner Meinung nach liegt jedoch ein großer Teil dieses Problems darin begründet, dass der OSMF-Vorstand sich mit Themen befasst, die nicht seine Aufgaben sind. Die Aufgabe des OSMF-Vorstands ist es nicht, das OpenStreetMap-Projekt zu verwalten, sondern Rahmenbedingungen zu schaffen, unter denen sich die Community selbst verwaltet. Und die Gestaltung dieser Rahmenbedingungen sollte sich nicht an den momentanen Wünschen und Vorstellungen eines nicht repräsentativen Ausschnitts der Community, wie sie durch eine Umfrage ermittelt werden, orientieren, sondern an den langfristigen elementaren Werten des Projektes (über welche ich hier schon viel geschrienen habe – siehe die Links oben).

Ich möchte die Idee von Umfragen unter der OSM-Community nicht pauschal abtun. Als ergänzende Informationsquelle, um Daten als Grundlage für den offenen Diskurs bereitzustellen, kann so was durchaus von Wert sein. Und wenn man Freiform-Antworten aus von der OSM-Community selbst gestalteten Umfragen tatsächlich öffentlich macht, dann kann so was sogar integraler Bestandteil einer offenen Diskussion werden. Aber am Ende findet der Diskurs zu Themen in einer offenen und vielfältigen Gemeinschaft wie OpenStreetMap immer über viele verschiedene Kommunikationskanäle in verschiedenen Sprachen und Ausdrucksformen statt – zwangsläufig unbequem für jeden Versuch einer zentralen Steuerung und Kontrolle. Jeder Versuch, solchen Diskurs zu kanalisieren und zu kontrollieren ist letztendlich zum Scheitern verurteilt – auf die eine oder die andere Art.

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